Handysucht bekämpfen - Apps & Tipps für mehr Unabhängigkeit
Der erste Blick nach dem Aufwachen richtet sich mittlerweile bei vielen Menschen auf das Smartphone. Die Angst etwas zu verpassen ist gewaltig. Social Media ist allgegenwärtig und nimmt immer mehr Platz im Alltag ein. Bis zu einem gewissen Grade ist das auch in Ordnung, aber sobald es überhand nimmt, wird es zu einem ernsthafen Problem.
Ich erkläre dir in diesem Artikel, wie du erkennst ob und ab wann du abhängig vom Smartphone bist, wie diese Sucht überhaupt zustande kommt und zeige dir verschiedene Apps und Tipps für mehr Unabhängigkeit vom Handy.
Bin ich handysüchtig?
Die Handysucht zählt zu den nicht-stofflichen Abhängigkeiten. Aktuell gibt es noch keine klinischen Langzeitstudien zur Handysucht. Man hat verschiedene Merkmale definiert, die die Handysucht definieren. Bisher gibt es allerdings noch keine allgemeingültige Definition.
So oft kannst du dein Handy am Tag rausholen...
Pauschal sagt man, dass als handysüchtig gilt, wer mehr als 60-mal am Tag aufs Handy schaut. Allerdings halte ich diese Zahl für sehr vage. Spielt jemand zum Beispiel 2x 3h am Tag am Handy und nutzt keine sozialen Medien und WhatsApp, sind diese 6h auch schon alarmierend obwohl das Handy ja "nur" 2 mal rausgeholt wurde.
Gegenbeispiel: Arbeitet jemand als Webseitenentwickler oder App-Entwickler, ist er zwangsläufig dazu gezwungen das Handy zu nutzen. Da kommen dann schnell über 100 "Handyblicke" und etliche Stunden Nutzung am Tag raus. Das hat wenig mit Sucht zu tun, sondern ist die Voraussetzung für diese Arbeit.
Einfacher Selbstversuch: Wie lange schaust Du nicht aufs Smartphone?
Versuch mal über mehrere Stunden hinweg nicht das Smartphone zu nutzen. Auch nicht um nach der Uhrzeit zu schauen. Fällt dir das leicht, scheinst du nicht handysüchtig zu sein. Fällt es dir schwer und ertappst du dich doch immer wieder dabei, wie du aufs Handy schaust, solltest du dir ernsthaft Gedanken über die Handynutzung machen. Insbesondere wenn du dich so verhältst, obwohl du anderweitig beschäftigt bist.
Bestimmungsgemäßer & genußvoller Gebrauch
Entscheidend ist, dass die Handynutzung "bestimmungsgemäß und genussvoll" ist. Das bedeutet, dass der Alltag und generell wichtige Dinge, nicht durch die Smartphonenutzung beeinträchtigt werden. Hast du primär das Handy in der Hand, obwohl du dir vorgenommen hast aufzuräumen, einzukaufen oder zu lernen? Dann sieht es eher schlecht für deine Unabhängigkeit vom Handy aus.
Der Weg zur Handysucht
Eine Abhängigkeit entsteht in der Regel über einen Prozess, der in 4 Stufen unterteilt wird. Diese Einteilung gilt weitestgehend für alle Süchte, die man haben kann:
bestimmungsgemäße Anwendung
Gewöhnung
Missbrauch
Abhängigkeit
1. Bestimmungsgemäße Anwendung
Die bestimmungsgemäße Anwendung beim Smartphone ist nicht ganz so einfach zu definieren, da diese Teile ja mittlerweile einfach alles können. Ein Smartphone soll den Alltag erleichtern und viele Geräte ersetzen. In erster Linie soll(te) es zum Telefonieren dienen. Kurzmitteilungen (SMS, WhatsApp, etc.) soll(t)en dazu dienen, kurz Infos auszutauschen. Dazu ersetzt es Navi, Uhr, Foto und Adressbuch, etc.
Die bestimmungsgemäße Anwendung liegt also darin, dass man das Handy dann nutzt, wenn man es für einen bestimmten, nützlichen Zweck braucht. Und nicht aus Langeweile, völlig unbewusst oder weil man sonst nicht weiß, was man tun sollte.
2. Gewöhnung
In die Gewöhnungsphase tritt man ein, sobald das Smartphone immer häufiger genutzt wird und sich bestimmte Automatismen gebildet haben. Der Blick auf die Uhr, geht übers Handy - die Armbanduhr dient nur noch als Accessoire oder wird gleich ganz weggelassen. Immer häufiger wird das Smartphone ohne bestimmten Grund rausgeholt.
3. Missbrauch
Werden durch die Handynutzung zusätzlich unangenehme oder negative Gefühle wie Langeweile, Einsamkeit oder Ärger unterdrückt, ist das Smartphone definitiv zweckentfremdet und wird nicht mehr bestimmungsgemäßg verwendet. Ab dieser Stufe des Abhängigkeitsprozesses nutzt man das Handy in Situationen, in denen es nicht angebracht ist.
Beispiel: Ich bin unglücklich oder fühle mich einsam, daher schaue ich am Handy stundenlang Memes oder Katzenbilder an...
4. Abhängigkeit
Hat bestimmt jeder schon erlebt: Man unterhält sich mit jemanden und das Gegenüber zieht einfach sein Handy raus um darauf zuschauen ohne einen bestimmten Anlass. So ein Verhalten ist ein alarmierendes Zeichen für eine Handysucht!
Die Abhängigkeit vom Smartphone kann man anhand von diesen 7 Kriterien identifizieren:
In Gedanken beschäftigt man sich stets mit dem Handy - der Blick wandert immer wieder - eben auch ohne Grund - zum Smartphone
Die Handynutzung wird immer intensiver
Versucht man die Handynutzung einzuschränken, ändert sich die Stimmung ins Negative (reizbar/ruhelos/...)
Man schafft es nicht, das Handy weniger zu nutzen
Andere Dinge werden der Smartphone-Nutzung untergeordnet
Die eigene Smartphonenutzung möchte man nicht wahrhaben und man belügt sich und andere darüber
Problemen und negativen Gefühlen werden mit Hilfe des Smartphones ausgewichen / unterdrückt
Der Suchtwirkstoff im Handy
Bei Drogen und Alkohol wird eine Substanz eingenommen, bei der der Körper Glückshorme ausschüttet und sich angeblich besser/glücklicher fühlt. Beim Smartphone passiert das selbe, nur dass es weder verboten ist, noch etwas eingenommen werden muss. Das Belohnungssystem im Gehirn wird bei der Smartphonenutzung auf viele Arten angeregt. Das passiert primär durch Messenger-Dienste, Social Media und Spiele.
Durch das Absenden eines Posts auf Facebook, eines Bildes auf Instagram oder einer Nachricht auf WhatsApp entsteht eine Erwartungshaltung - eine Spannung baut sich auf. Man checkt regelmäßig ob kommentiert wurde, ob geliked oder geantwortet wurde. Das Wechselspiel aus Spannung und Entspannung wirkt auf den Menschen als besonders reizvoll, wodurch Glückshormone ausgeschütttet werden. Nimmt das überhand, ist die Sucht akut.
Gesundheitliche Folgen von Handysucht
Wenn du dazu neigst, dich in den Untiefen deines Smartphones zu verlieren, dann kann sich das auch relativ schnell auf deine Gesundheit auswirken.
Handysucht kann Schlafstörungen verursachen
Das Smartphone kann uns schnell in die Quere kommen, wenn es darum geht, abends langsam und gemütlich in den Schlaf zu finden. Unser Gehirn läuft durch die Informationsverarbeitung noch auf Hochtouren. Die Informationsflut, die kurz vor dem Schlafengehen auf dich einprasselt, kann Unruhe verursachen. Hinzu kommt, dass das blaue Licht des Handybildschirms den Körper daran hindert, das Schlafhormon Melatonin zu produzieren.
Als Gegenspieler zum Stresshormon Cortisol ist Melatonin nicht nur ein wichtiges Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert und dafür sorgt, dass der Körper herunterfährt. Das Hormon besitzt auch eine antioxidative Wirkung. Das heißt, es schützt die Zellen davor, durch Oxidation beschädigt zu werden. Die Oxidation wird durch freie Radikale in Gang gesetzt und kann Symptome wie Müdigkeit, Konzentrationsprobleme bis hin zu Gelenkbeschwerden und Venenschwäche hervorrufen.
Körperlicher Stress durch Zeitmangel oder Verlust des Zeitgefühls
Kennst du das? Aus dem kurzen Scrollen durch deine Social Media Kanäle wird plötzlich eine halbe Stunde? Du merkst gar nicht mehr, wie schnell die Zeit vergeht. Und dabei wolltest du doch eigentlich noch tausend andere Dinge erledigen, die dir nun schnell über den Kopf wachsen.
Die Handysucht kann schnell dafür sorgen, dass wir das Zeitgefühl verlieren und extrem viel Zeit am Handy verbringen. Da der Tag für jeden nur 24 Stunden hat, geht diese Zeit natürlich für andere Dinge verloren. So kann es schnell passieren, dass wir plötzlich in Zeitstress geraten, weil wir zu spät dran sind oder unsere anderen to dos liegen bleiben. Das Problem ist, dass unser Körper auf dieses Stressgefühl sofort mit der Ausschüttung von Cortisol reagiert. Dies führt wiederum dazu, dass freie Radikale ausgeschüttet werden, um das Hormon wieder abzubauen. Freie Radikale greifen unsere Zellen an. Dies führt wiederum zu einer Kettenreaktion, der Oxidation.
Tipp: Handysucht loswerden (ohne Apps)
Je früher man der Abhängigkeit vom Smartphone entgegenwirkt, desto einfacher ist die Abgewöhnung. Sobald man merkt, dass man das Handy immer öfter nutzt, sollte man schnell etwas tun. Anfangs kann man noch gut mit dem eigenen Willen entgegensteuern und intervenieren. Ein längerer Verzicht ist da nicht so ratsam, die alten Gewohnheiten stellen sich danach schnell wieder ein. Daher Gewohnheiten ändern:
Push-Benachrichtigungen deaktiveren
Unser Gehirn wird belohnt, sobald es beim Blick aufs Handy etwas neues in Form einer Push-Benachrichtigung sieht. Um das zu verhindern, "einfach" die Push-Benachrichtigungen deaktivieren. Am Besten für alle Apps. Wenn etwas wirklich wichtiges ist, wird derjeinige anrufen.
Push-Benachrichtigungen beim iOS (iPhone, iPad, etc.) deaktivieren
Öffne die App "Einstellungen" und tippe auf "Mitteilungen". In diesem Menüpunkt siehst du die Liste aller Apps. Dort die App auswählen und bei "Mitteilungen erlauben" den Regler antippen - er sollte von grün auf grau wechseln. Wiederhole das für alle Apps, die häufig Push-Nachrichten schicken.
Push-Benachrichtigungen bei Android (Samsung, LG, etc.) deaktivieren
Öffne die App "Einstellungen" und tippe auf "Benachrichtigungen und Statusleiste". Tippe einmal auf den Regler neben "Benachrichtigungssymbol anzeigen" und anschließend auf App-Benachrichtigungen. Dort siehst du eine Liste aller Apps. Klicke die App an bei der die Push-Nachrichten deaktiviert werden soll und deaktiviere das Feld "Benachrichtigungen anzeigen". Wiederhole dies für alle Apps, die häufig Push-Nachrichten schicken.
Chat-Apps, Soziale Medien und Spiele nur noch zu festen Zeiten nutzen
Die von dir häufig verwendeten Apps, brauchen die meisten Kontrolle. Lege dir bestimmte Zeiten und ein Zeitlimit fest, wann du was wie lange nutzen möchtest. Es gibt verschiedene Apps, die dich dabei unterstützen (s.u.).
Durch diese Regeln, schaffst du es, vom ständigen "aufs Handy schauen" loszukommen.
Von Digital zu Analog
Das Smartphone hat uns viele "analoge Medien" ersetzt. Für die Suchtbekämpfung ist es daher ratsam, wieder weg vom Digitalen und zurück zum Analogen zu wechseln. Das heißt: Armbanduhr statt Handyuhr. Zeitung im Papierformat statt Onlinezeitung. Buch als reales Buch und nicht als PDF.
Aufmerksamkeit dem Gegenüber widmen
Bist du nicht alleine, sondern in Gesellschaft von einer oder mehreren Personen, mache die Gesellschaft zur Priorität. Das Handy muss untergeordnet werden. Das ist nicht nur respektvoll und höflich, sondern erleichtert auch die Aufmerksamkeit auf das Gespräch zu richten.
Fokus auf die Arbeit vor dir
Widme generell die Aufmerksamkeit auf das, mit dem du dich gerade beschäftigst. Aktiviere notfalls den Flugmodus am Handy oder lege es in einen anderen Raum. In der Zeit in der du arbeitest oder lernst, solltest du das Handy nicht nutzen.
Quality Time ist aktuell nur für Android erhältlich, eine gute Alternative für iOS ist Moment. Beide Apps sind kostenlos. Diese Apps merken sich deine App-Nutzungen. Sie speichern wann, wie oft und wie lange du das Handy und welche App genutzt hast. Das schafft einen Überblick über die tatsächliche Smartphone Nutzung. Außerdem kannst du verschiedene Zeiten festlegen, zu der z.B. keine Push-Benachrichtigungen mehr ankommen sollen oder die Handynutzung deutlich eingeschränkt wird. Zuletzt schaffen Sie die Möglichkeit, dass du bestimmen kannst, wie lange du welche App am Tag nutzen möchtest.
RescueTime
RescueTime ist ein sehr mächtiges plattformübergreifendes Tool (Mac, PC, Android, Linux), das sämtliche Aktivitäten misst und in Detail analysiert wie du deine Zeit verbringst. RescueTime vereint viele Anwendungen in einem:
ToDo-Liste: Tagesziele festzulegen
Page-Blocker: Blockiere zeitintensive / ablenkende Webseiten wie facebook und co
Aktivitäten-Reports
uvm.
Das Gesamtpaket ist sehr umfangreich und analysiert bis ins Detail, wie man seine Zeit genutzt hat. Der Productivity Score gibt Auskunft darüber, wie sinnvoll man seine Zeit genutzt hat. In der Lightversion ist RescueTime kostenlos, in der Vollversion kostet es 7€ pro Monat.
Forest - Spielend der Umwelt helfen
Die Handynutzung reduzieren und gleichzeitig Bäume pflanzen? Das geht mit: Forest (iOS und Android). Diese App kostet ~2€, die Investition lohnt sich aber doppelt:
Je weniger du das Handy nutzt, desto mehr Bäume werden in Deinem digitalen Wald gepflanzt. Nutzt du das Handy vermehrt, sterben die Bäume ab. Bei Nicht-Nutzung verdienst du digitale Coins, die du dann spenden kannst und es werden reale Bäume gepflanzt (mittlerweile schon fast 300.000 Stück!). Die App ist absolut empfehlenswert und jeden Cent wert.
Natürlich hat jede App seinen eigenen speziellen Anwendungsfall. Schau dir am besten alle Apps an und teste sie. Dann entscheide dich für die App(s), die für dich den besten Nutzen hat/haben.
Fazit
Nicht nur Jungendliche - auch die "Älteren" - sind von der Handysucht immer stärker betroffen. Dass Handysucht eine ernst zunehmende Abängigkeit darstellt ist mittlerweile bekannt. Der Fokus rückt verstärkt auf diese Thematik. Wir hoffe, dass du mit unseren Tipps und vorgeschlagenen Apps wieder dein Leben fernab vom Display genießen kannst und Zeit für das wirklich Wichtige findest!
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